In der Naturfotografenszene gibt es eine Menge Kollegen, die Schweden-affin sind und diesen Teil Europas ein-oder gar mehrmals im Jahr bereisen. Aber fragt man einen solchen Menschen, warst Du schon einmal auf Gotland, kommt regelmäßig die Antwort: „Nein“, aber auf Öland war ich schon. Ich war dort auch schon, mehr als einmal. Liegt das vielleicht daran, das Öland so viel leichter und billiger über die Kalmarsundbrücke erreichbar ist? Selbst die modernen Fähren, die von Oskarshamn oder von Nynäshamn nach Visby fahren, erreichen eine Geschwindigkeit von fast 30 Knoten, das entspricht etwa 50 km/h., brauchen gut drei Stunden für die Überfahrt.
Meine Frau und ich entschlossen uns, auf den guten Rat eines befreundeten Biologen, Gotland zu besuchen und haben das nicht bedauert. Gotland ist anders als Öland, landschaftlich vielfältiger, wie ich meine. Besonders, wenn man auch geschichtlich interessiert ist, hat es viel zu bieten. Angefangen von frühgeschichtlichen Zeugnissen bis hin zu früh- und spätmittelalterlichen Perioden, alles findet man gut erhalten auf Gotland. Zweiundneunzig schöne und gut erhaltene Dorfkirchen im romanischen und gotischem Stil zeugen vom früheren Reichtum der Insel. Einige haben noch einen Kastal, ein Wehrturm.
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Gotland war das Zentrum des Handels im Ostseeraum und dadurch sehr reich, Visby galt als Haupt der Hanse. Ausserhalb Visbys gab es Händlerbauern, wenige ihrer Gehöfte sind noch erhalten. „Hansestaden Visby“ war in seiner Blütezeit ein sehr reiche Stadt mit einer starken Zuwanderung. Nicht wenige Handelshäuser waren Gründungen deutscher Kaufleute. Namen wie Donner, „Donnerska Hus“, heute Sitz der Touristinformation und „Burmeisters Hus“ zeugen davon. Deutschstämmige stellten eine große Fraktion in der Bürgerschaft dar. Die gewaltige Stadtmauer von Visby zählt heute zu den besterhaltenen Stadtbefestigungen Europas. Stadt- und Landbevölkerung der Insel waren sich nicht “grün“, es herrschte eine starke Konkurenz. Es hat auch einmal einen Bürgerkrieg gegeben. Die Blütezeit endete mit dem Ausbruch der Pestepedemie (Pandemie!), die Mitte des 14. Jahrhunderts den Handelswegen folgte. Visby gab das Zepter als Haupt der Hanse an Lübeck ab, das anders als Gotland über ein großes Hinterland verfügte, zu dem wuchs die Bedeutung des Handels über Land.
Die Landschaft Gotlands wird geprägt durch die andauernde Landhebung seitdem der kilometerdicke Eispanzer der letzten Eiszeit abgeschmolzen ist. Über vierzig Meter hohe fossilienreiche helle Kliffs, die so schön mit der blauen Ostsee kontrastieren und Alvar, Kalksteppen, prägten das Land. Brandungstore, wie das von Lergrav, liegen heute hoch über dem Meeresspiegel und markieren die Meereshöhe vor Jahrmillionen. Wie der ursprüngliche Wald einmal ausgesehen hat, weiß man nicht. Die Öfen der frühen Kalkindustrie haben ihren Tribut gefordert. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft ist auch Vergangenheit. Ein Highlight der Gotländischen Landschaft sind Raukars, Kalksteinsäulen, deren harter Kern durch Erosion freigelegt worden sind. Ihre Formen regten unsere Phantasie doch sehr an.
Ich habe selten so schöne Blumenwiesen gesehen wie auf Gotland. Es sind ehemalige Laubwiesen „Lövängar“. Das war eine frühmittelalterliche, extensive Form der Landwirtschaft, die viel Handarbeit erforderte. Auf diesen Wiesen wurde nicht nur das Gras geerntet, sondern auch die frischen Triebe des hier vorkommenden Laubholzes, sie wurden getrocknet als Winterfutter für das Vieh genutzt. Heute gibt es nur noch wenige dieser Wiesen, die von Bürgern und Naturliebhabern gepflegt werden, die meisten davon auf Kirchenland. Ab Mitte Mai bieten sie einen traumhaften Anblick. Es sind nicht nur die Orchideen, von denen es auf Gotland über dreißig Arten gibt. In dem Naturschutzgebiet Kallgateburg gibt es ein großes Vorkommen des Frauenschuhs, schwed. Guckusko. Ein Schild wies auf das ein Kilometer vom Hauptweg entfernte Vorkommen hin und es war erstaunlich wie viele Menschen dorthin pilgerten. Einmal fanden wir in einem Straßengraben ein großes Vorkommen des Männlichen Knabenkrauts, das aber auch sonst hier häufiger ztu sehen ist.
Ölands Bockwindmühlen sind berühmt, auf Gotland sind diese nicht sehr häufig, dafür gibt hier eine Mühlenkonstruktion, die der Holländerwindmühle ähnelt. Das heißt, bei Änderung der Windrichtung wird nur der Kopf gedreht und nicht die ganze Mühle, wie bei der Bockwindmühle. Aber der Rumpf besteht nicht aus Holz, sondern ist stets aus Kalksteinen gemauert. Im Süden Gotlands öffnete ich einmal neugierig die Tür einer solchen Windmühle und stellte fest, das die Technik völlig intakt war und die Mühle kurzfristig wieder in Betrieb genommen werden könnte. Am Mehlauslauf fand sich hineingeschnitzt „Byggd 1840-Gebaut 1840“. Darunter standen noch Mahlsteine und die Windbretter, mit denen die Oberfläche des Flügels dem herschenden Wind angepasst werden konnte.
Eine Reminizenz an früheres Bauernleben stellen an der Küste die Fiskeläge – Fischerbuden dar. Sie wurden in früheren Jahrhunderten von Bauern genutzt um den Speiseplan aufzubessern. Vornehmlich wurden von ihnen im Frühjahr und Herbst Heringe gefangen und gesalzen. Die bekannteste dieser Siedlung ist Helgumannen auf Farö aber man findet überall an der Küste diese romantischen Plätze.
Die Insel Stora Karlsö ist für seine Vogelwelt berühmt. Es gibt hier die einzigen Vogelfelsen der Ostsee mit großen Kolonien von Tordalken und Trottellummen. Eiderente und Samtente sind häufig und wenn man im Hafen Norderhamn ankommt, wird man schon bald von Küstenseeschwalben begrüßt bzw. attaktiert. Über zweihundert Vogelarten gibt es hier. Es ist das älteste Naturschutzgebiet Europas, gegründet gegen Ende des 19. Jahrhundet von einem deutschstämmigen Mann aus Schwerin, Willi Wöhler, der mit Freunden das Land aufkaufte und die Karlsö Jagt- och Djurskyddsförening AB (= Karlsö Jagd- und Tierschutzverein) gründete. AB=Aktiebolaged=Aktiengesellschaft. Die Dividende der Aktionäre bestand darin, das diese an den Hasenjagden teilnehmen durften. Damals war der Bestand an Alken durch Jagd auf ein Minimum gesunken. Dieser Verein besteht immer noch und betreut die Insel auch heute noch ganzjährig.